Das ahoj gibt jungen Ideen in Görlitz Aufwind und lebt von persönlichem Austausch und einer aktiven Ladengemeinschaft. Wie wir all das in Zeiten von Pandemie, Lockdown und Abstandsregeln in unserem Gründungslabor auf der Landeskronstraße 4 trotzdem aufrecht erhalten werden konnte und was wir in den letzten zwölf Monaten so getrieben haben, fassen wir euch in diesem Jahresrückblick zusammen.
Im November 2019 war es endlich soweit: Unser Ladengeschäft auf der Landeskronstraße 4 war mit viel Herzblut und Eigenarbeit zu einem gemütlichen Arbeitsraum umgestaltet worden. Unsere ersten Stipendiat*innen konnten ihre Arbeitsplätze beziehen. 2020 wollten wir so richtig ablegen und sehen, wohin der Wind uns treibt. Es war ein Experiment. Es gab einen Raum und eine Vision, aber über welche Stationen wir zu dieser Vision schippern würden, wollten wir uns bewusst offen halten und an den Bedarfen unserer Ladengemeinschaft, der Nachbar*innenschaft und den vielen Selbstständigen in der Stadt orientieren.
Nach nur drei Monaten Einarbeitung, Begleitungstreffen, Ideenspinnereien auf unseren Plena, internen Werkstätten zur Business-Model-Entwicklung, einer gezielten Öffentlichkeitsarbeit und Steuerrecht, sowie einem offenen Qualifizierungsangebot zu Crowdfunding, traf uns der plötzliche Shutdown hart. Die vielen Ideen, Gemeinschaftsaktionen, überhaupt das persönliche Zusammenwachsen unserer ahoj-Community lag nun mit begrenzter Büronutzung und dem Ausfall öffentlicher Veranstaltungen erstmal auf Eis. Es fühlte sich an, als würde unser Schiff mit einem dicken Tau am Hafen liegen, obwohl wir schon längst bereit gewesen wären, abzulegen. Es folgten viele Onlinemeetings, Hygieneregeln und Begleitungstreffen. Als der Lockdown langsam aufgeweicht wurde und wir wieder persönlich im Laden Qualifizierungsangebote und Workshops (Pressearbeit, Bewerbungsfotos und Leistungsrechnung) anbieten konnten, waren wir zwar recht motiviert, stellten aber auch fest, dass das Ende des ersten, zehnmonatigen Stipendiums schneller vor der Tür stand als erwartet.
Die Entwicklungen unserer fünf Stipendiat*innen – Jessy James LaFleur, Camillo Kino, Stadtspiel, feministisches*forum und der Filmkooperative – waren sehr unterschiedlich. Während Sebastian von der Filmkooperative seinen Umzug nach Görlitz in Zeiten von Corona gar nicht erst umsetzen konnte, nutzten andere Initiativen die Zeit, die eigene Organisationsstruktur zu untersuchen und zu professionalisieren. Manch eine*r verlieh der eigenen Selbstständigkeit Flügel, ein anderer landete dann doch in einem Angestelltenverhältnis, konnte die Qualifizierungsangebote aber für die persönliche Weiterentwicklung und Bewerbung nutzen.
Was wir daraus lernten war: Jede*r Mensch hat ein anderes Tempo und manche Ergebnisse werden nicht direkt während des Stipendiums sichtbar, sondern erst in der Zeit danach. Umso wichtiger ist es, die Stipendiat*innen im Nachgang nicht aus den Augen zu verlieren, sondern sie Teil der sich gegenseitig unterstützenden ahoj-Community bleiben zu lassen.
Auf unserer Höhle der Möwen, im Zuge des Fokus Festivals im August, konnten wir erstmals unter Beachtung bestehender Hygieneregeln mit etwa dreißig Gästen drinnen und draußen über unsere bisherige Arbeit sprechen. Für die Stipendiat*innen war dies eine Art feierlicher Abschluss, auf dem sie ihre Ideen und Fortschritte vor einem Publikum präsentieren konnten.
Die Erkenntnisse aus dem ersten Stipendium nutzten wir zur Entwicklung eines zweiten Durchlaufs. Das Programm sollte (zeitlich) straffer, die Community enger und das gemeinsame Arbeiten regelmäßiger werden. Nach der Ausschreibung der Bewerbung und der Auswahl durch unsere Jurymitglieder, bestehend aus Gerhard Tschau von LABA, Doris Bach von der Brotschmiede und Sandy Marschke vom Amt für Kreisentwicklung, konnten wir sechs neue Menschen in unserer Ladengemeinschaft begrüßen. Gemeinsam beschlossen wir in einer ersten Werkstatt die Art und Weise unseres Zusammenarbeitens, legten Termine für das kommende halbe Jahr fest und begannen mit den ersten internen Workshops (Effectuation-Ansatz und Zieldefinition).
Mit dabei: Otto & Andi mit ihrer Idee eines Medienkollektivs, die freischaffende Künstlerin Heidi, Jacqueline mit ihrer Idee eines gemeinschaftlich nutzbaren Floßes für den Berzdorfer See, Steve mit dem Stadtmagazin 10 | Zehne und Raffael mit der Entwicklung eines Antidiskriminierungsworkshops. Wichtig war uns diesmal auch, mehr über die Menschen und Ideen zu sprechen, um das Anliegen des ahoj‘s für alle greifbarer zu machen. Wir organisierten kollegiale After-Work-Abende, in denen die Stipendiat*innen sich gegenseitig und einem interessierten Publikum ihre Idee vorstellten und aktuelle Baustellen und Fragen diskutierten. Wir kooperierten in einzelnen Formaten mit der Gründerakademie der Hochschule Zittau/Görlitz. Wir versendeten regelmäßig Newsletter mit den Portraits unserer Gründer*innen und stellten sie auf allen Social-Media-Kanälen vor. Denn je mehr man über die eigene Idee spricht, desto greifbarer und realer wird sie.
Als dann der zweite Lockdown vor der Tür stand, waren wir besser vorbereitet und weniger überrascht. Wir verlagerten all unsere Formate (Workshops, offene Qualifizierungsangebote und die After-Work-Abende) in den digitalen Raum. Das gemeinsame Kochen & Abendessen, sowie das produktive Zwischen-Tür-und-Angel fielen dabei aus, aber wir verloren uns nicht aus den Augen und konnten auch bei Zoom eine offene Gemeinschaft bleiben, die sich gegenseitig unterstützt, inspiriert und motiviert.
Nun liegen noch zwei Monate des zweiten Stipendiums vor uns, sowie der konkrete Ausblick, dass unser Gründungslabor wohl längerfristig existieren wird. Schon wieder entsteht ein Gefühl des zu frühen Abschieds, schon wieder hätte man sich mehr persönliches Beisammensein gewünscht. Was bleibt ist die Hoffnung, dass auch mit dem zweiten Stipendium eine Gemeinschaft wächst, die nicht verloren geht. Eine Gemeinschaft die – falls es wieder möglich sein wird – den Laden auch für ganz eigene Formate nutzen wird. Das vollkommene Potenzial ausnutzt – den physischen Raum, mit seinen großen Schaufenstern, den Treffpunkt während und nach der Arbeit, mit einem Klavier, mit möglichen Konzerten, Konferenzen oder Diskussionsabenden. Das Experiment und viele weitere Stationen liegen also immer noch vor uns. AHOJ!
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